Bericht zum Spiel
Neunkirchen - Kickers Offenbach

100 km in 40 Minuten? Mittlerweile kein Problem mehr für mich. Wie geplant biege ich 45 Minuten vor Spielbeginn von der A1 aus ab nach NK, einer für Außenstehende wirklich grausam häßlich erscheinenden Stadt von immerhin 50.000 Einwohnern mit einem allen Natur- und Menschenschutzgesetzen widersprechenden Kraftwerksturm aus den 50iger Jahren in der Stadtmitte und grauen Kasernenhochhäusern für die Eingeborenen, von denen der seit Kriegsende nicht mehr erneuerte Putz unbarmherzig prasselt. Man sollte es keinem Menschen zumuten, hier wohnen zu müssen, aber hier leben sie nun mal, die Saarfranzosen. Wie es sich gehört, finde ich direkt vor dem städtischen Schwimmbad 50 m vor dem Stadion einen Parkplatz. Der Groundpunkt fehlte bisher noch in meiner Sammlung - und ich habe sein Abhaken auch nicht bereut. Zunächst bahne ich mir mir den Weg in die absolut kultige Stadionkneipe von NK, die das Kommen alleine schon absolut wert war. Davor stehen Tara und der Engel ohne den Bengel, drinnen treffe ich "Ich bin schuld"-Fidel (-> aber sicher!), der nicht nur aufgrund seines T-Shirt-Aufdrucks erst mal eine geballert bekommt und "Ich habe heute freien Ausgang"-Terrorero (-> dann nutze es doch auch endlich mal!), der mir zur Begrüßung erst einmal standesgemäß eine zuvor herrenlose Flasche Karlsberg aushändigt. Nachdem diese leer ist, tippt mich sogleich "Ich habe nur mittlere Reife"-Grieche (-> ohne Abi auch keine willenlosen Studentinnen!) von hinten an, er habe noch eine Flasche Karlsberg über, die genau an meinen Hals passen würde. Und er hatte Recht! Zwischen den Biers ein Blick auf die Stadionkneipeneinrichtung, klein, rustikal, häßlich und fies - genauso wie man sich das Saarland so vorstellt. Zahlreiche Pokale hängen an dunklen Holzwänden, die ohne Schutz direkt zum Greifen nah vor meinem Schädel prangen, teilweise ruß- und rauchverschmiert, als ob sie der Steiger auch manches Mal mit unter Tage genommen hätte. Darunter auch, kaum zu erkennen, die originalgetreue World-Cup-Trophäe, die die E-Jugend der Borussia 1977 beim Ludwig-Erhardt-Gedächtnisturnier in Völklingen gewonnen hatte. Respekt! Pünktlich zum Anpfiff geht es dann in die Gästekurve, von der aus sich ein imposanter Anblick auf ein für Regio-Verhältnisse großes Stadion bietet. "Ich hatte einen Kickersfan als Lehrer"- Bertl gibt mir die Kickers-Überraschung und neben ihm steht der einzige einheimische Kickersfan, "Olympique Moulin Rouge"-TRO, der Steuerflüchtling, der es immer wieder versteht, andere Halbfranzosen (zumindest für 1 Jahr) an den OFC zu binden. In der ersten Halbzeit zwei 20%-Chancen für den OFC und eine hundertprozentige Kopfballchance für NK direkt vor der Pause, ansonsten Not gegen Elend, ganz genauso, wie von allen erwartet. Es könnte auch Klein-Karben gegen Waldmichelbach hier spielen, ohne daß das Gebolze schlechter gewesen wäre. Die Pause geht mit Quatschen und Biertrinken zuende, die zweite Hälfte knüpft nahtlos an das Niveau der ersten 45 Minuten an. Die Fans nehmen es mit Galgenhumor: "Auswärtspunkt, Auswärtspunkt...." und "So ein Tag, so wunderschön wie heute....". Was soll man schon machen, wenn Stück für Stück plötzlich der Tabellenletzte mit nur einem einzigen Sieg auf der Habenseite auf dem Platz das Heft in die Hand zu nehmen beginnt? Ein Entlastungsangriff 13 Minuten vor Spielende, Ecke von der rechten Angriffsseite vom in der zweiten Hälfte eingewechselten Kagiouzis mit dem linken Fuß mit Drall zum Tor hin, der Ball wird abgewehrt, kommt ca. 35 m vor dem Tor zentral vor Barletta zu liegen, der die Hulla mit einer Granatenbogenlampe Unterkante Latte und ab, gnadenlos hinein ins Glück, versenkt! Der 100-Mann schwache Auswärtsmob wogt und tobt. Nach dem Tor gehe ich im steilen Gästeblock ganz nach oben, man kann von dort aus neben dem Schwimbad noch andere Hütten und Verschläge von NK erkennen - und hinter der Kurve führt verlassen eine abgesperrte, steinerne Treppe nach unten außen, zwischen deren Stufen ungestört grüne Pflanzen wachsen. Die eisernen Beschläge der sicherlich seit 30 Jahren nicht mehr benutzten Treppe sind komplett verrostet und teilweise aufgeplatzt. Ob so der Bieberer Berg im Jahre 2030 aussehen mag? Der Schauder über meine morbiden Gedankengänge läßt mich wieder dem Spiel zuwenden und nach unten Richtung Tor laufen, da ist doch plötzlich auf der linken Angriffsseite Saridogan frei im Strafraum und wird gefoult oder auch nicht - und der Schiri macht das Unmögliche: Elfmeter für den OFC! Was soll das? Wohl keine Fußballmafia mehr oder was? Werden einem auf die alten Tage plötzlich noch die Feindbilder genommen? Und wo, verdammt noch einmal, soll ich denn auf die schnelle plötzlich neue herbekommen? Während mir das so in den Sinn kommt, verwandelt Barletta das Ei humorlos li unten vom Schützen aus gesehen. Und was macht der unparteiische Spielleiter? Er läßt das Ding einfach wiederholen, weil irgendein Roter zu früh in den 16er gelaufen sei. Mann, war ich froh, also doch keine Suche nach neuen Feindbildern! Außerdem tütet der eiskalte Italiener 10 Sekunden später die Kugel nach schönem Übersteiger erneut ein - diesmal aber re oben. "Diggediggedig"-Tara erhält seine Bierdusche und kurz darauf wird das Spiel abgepfiffen. Die Spieler kommen in die Kurve zum Abklatschen, Knappi erhält den meisten Beifall. Und dann geht´s wieder zurück zum Auto, das freundlicherweise auf mich gewartet hat.