Glosse 5

"Über das Wesen der Liebe zu einem Fußballverein - eine Bestandsaufnahme aus der Sicht eines ganz gewöhnlichen Schnösels" (8.10.01)


(TFid) Es war, kein Zweifel, eine große Liebe. Und wie jede große Liebe zerfraß sie das Leben der Liebenden mit den maßlosen Ansprüchen, die sie stellte. Sie war Drama und Ekstase, Qual, Raserei und Sehnsucht, Alltagsplackerei, Selbstkasteiung, Bosheit und selbstvergessener Rausch.

Der Zeitpunkt, an dem sich der Liebende bewußt wird, daß er sich endgültig vergeben und an einen anderen verloren hat, daß er fortan sein Leben nur noch in ein "vorher" und in ein "danach" einteilen kann, daß er nicht mehr der alleinige Herr über sein Denken und sein Tun ist, dieser endgültige Wendepunkt im Leben eines zur höchsten Emotion fähigen Menschen wird durch folgende Schilderung treffend charakterisiert:

Doch dann, an jenem Abend, milchig schummerndes Flutlicht, die erwartungsvollen Gesichter der anderen, irgend etwas kaum greifbares und doch so offensichtliches schien in der Luft zu liegen. Plötzlich kam in hohem Bogen eine butterweiche Flanke in den Strafraum, ein Spieler mit einem völlig durchgeschwitzten roten Trikot, die Hose war bereits durch Dreck schon lange nicht mehr als weiße zu erkennen, hielt ohne technische Finessen seine Fußspitze in die Flugrichtung des Balles, nachdem er seinen verdutzten Gegenspieler mit der Schulter weggedrückt hatte. Der die Richtung ändernde Ball hoppelte langsam über den nassen und schwer durchgepflügten Rasen, die Augen des Torwarts waren angsterfüllt vor Schreck weit aufgerissen, als er bemerkte, daß sein Hechten in die äußerste Ecke des Tores vergeblich sein würde, während der Ball unbeirrt wie in Zeitlupe über eine Linie aus weißer Kreide kullerte und bei Berührung des jungfräulich weißen Netzes sofort und ohne Murren seine Reise beendete. Die Menschen auf den schäbigen Betonrängen rollten übereinander und durcheinander, mit fiebrigen Augen, ausgehungert und in blinder Raserei. Noch während er festen Stand suchte, wildfremde Menschen immerzu und immer wieder umarmte, resignierte der in diesem Moment vom überlegen gelassenen zum aufrichtig liebenden Werdende: "Wozu wollen wir uns wehren? Es war ein Blitz, ein Wetterleuchten, weit her aus den Zeiten vor uns."

So muß sich Hannibal gefühlt haben, nachdem er die unsäglichen Strapazen der kargen und unwirtlichen Alpen hinter sich lassend erstmals die zart grünen und malerisch sanften italischen Landschaften schutzlos und friedlich zu seinen Füßen liegen sah. Genauso unmittelbar körperlich muß sich die von ihrer Statur her schwächliche Jungfrau von Orleans empfunden haben, als sie auf ihren flammenden Appell hin die kleine Zahl der schwer gepanzerten französischen Ritter auf ihren prächtigen Schlachtrossen todesmutig in den unerbittlichen die Luft braun färbenden Pfeilhagel der englischen Langbogenschützen reiten sah.

Und mit dieser Entschlossenheit und messianischen Unbedingtheit führte der Liebende fortan sein Leben, das ihn aus der Gleichgültigkeit und Unbedeutendheit seiner bisherigen Existenz zu einer höheren Daseinsstufe führte, auf der es plötzlich einen zuvor lange vermissten Sinn und auch einen über die eigenen profanen Bedürfnisse weit herausragenden Wert hatte, weil er sein Streben nun endlich einem höheren und primär uneigennützigen Ziel weihen durfte. In dieser selbstgewählten Unmündigkeit konnten ihn dann auch das Kopfschütteln seiner Mitmenschen, das Unverständnis seiner Familie und die Eifersucht seiner Geliebten gegenüber seinem neuen und endgültigen Kult nicht weiter stören, denn diese anderen mussten ihn ja zwangsläufig missverstehen, war ihnen doch in ihrem bisherigen Leben noch keine Gnade in Form einer wahrhaftigen Glaubensoffenbarung zuteil geworden.

Ja, mochte sein Leben auch morgen schon unverhofft zuende gehen, zumindest er hatte nicht umsonst gelebt!

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